Artur Axmann
1914 – 1996
Reichsjugendführer
1928 Beitritt zur Hitlerjugend
Studium der Volkswirtschaftslehre und der Rechtswissenschaften
1931 Eintritt in die NSDAP
1932 Aufnahme in die Reichsleitung der HJ
1934 HJ-Führer von Berlin
1940 Reichsjugendführer in Nachfolge von Baldur von Schirach
1945 Kommando über den Volkssturm beim Kampf um Berlin gegen die Rote Armee bei den Seelower Höhen
Nach dem Krieg unter falschem Namen untergetaucht bis zu seiner Verhaftung im Dezember 1945 in Lübeck
1949 zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt
Nach der Entlassung 1952 als Kaufmann tätig
1995 Veröffentlichung seiner Memoiren unter dem Titel „Das kann doch nicht das Ende sein“
Axmann spricht über sein Engagement als Jugendlicher in der HJ in Berlin-Wedding und über die soziale sowie gesundheitliche Lage der Jugend. Das Spannungsfeld zwischen der offensichtlich miserablen gesundheitlichen Lage in der Weimarer Republik und dem oft freiwilligen Engagement von Ärzten einerseits und der „Erziehung zum totalen Krieg“ andererseits wird aus seinen Schilderungen deutlich.
Er berichtet über seinen Aufstieg zum Reichsjugendführer und das umfangreiche Programm für die HJ und den BDM, häufig in Zusammenarbeit mit Nicht-Parteimitgliedern.
Seinen Vorschlag zur Gründung einer SS-Division der Hitlerjugend im Jahr 1943 genehmigte Hitler. Sie wurde als 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“ gegen die Invasion der Alliierten in der Normandie eingesetzt. Darüber hinaus gibt Axmann Auskunft darüber, wie Jugendliche aus der Hitlerjugend zur Verteidigung Berlins in Volkssturm-Bataillonen herangezogen wurden.
Das Interview mit Artur Axmann fand statt im Februar 1992.
Es war das erste Interview, das Karl Höffkes mit einem der führenden Nationalsozialisten führen konnte, und öffnete ihm die Türen zu den weiteren Gesprächspartnern.
Ich war 1928 Obersekundaner der 6. Oberrealschule und die Schüler dieser höheren Lehranstalten trugen ja bekanntlich bunte Schülermützen. Wegen dieser Schülermütze wurde ich öfter von Jungarbeitern angepöbelt und angerempelt. Einmal wurde mir sogar meine Mütze geklaut und zwar von Uniformierten mit grauem Hemd, roter Armbinde, Koppelschloss, Mütze und Sturmriemen. Von ihnen hörte ich Schlagworte wie: „Du Bürgersohn, Klassenfeind, Faschist.“ Sie ballten die Faust und riefen „Rot Front“ und „Heil Moskau“. Ich verstand das nicht. Warum war ich ein Klassenfeind? Meine Mutter war nach dem Tode meines Vaters Arbeiterin in einer Fabrik. Und warum „Heil Moskau“? Ich wehrte mich irgendwie gegen diese Fremdbestimmung aus Moskau, und genau in diesen Tagen entdeckte ich ein Plakat an einer Litfaßsäule, das zu einer Kundgebung der NSDAP gegen den Klassenkampf und für die Volksgemeinschaft einlud. Nach meinem Erlebnis interessierte mich das und ich marschierte von Wedding nach Wilmersdorf zur ausgeschilderten Kundgebung. Dort traf ich neben alten und jungen Arbeitern auch gut gekleidete Bürger. Es herrschte eine mir unbekannte Stimmung der Erwartung und des Aufbruchs. Dann kam der Redner: Dr. Goebbels, Gauleiter von Berlin, der mit starkem Beifall begrüßt wurde. Er war kaum älter als dreißig Jahre, was mich schon anzog. Er überzeugte mich vom politischen Widersinn des Klassenkampfes und rief aus, dass die Jugend für die Zukunft entscheidend sein würde. Durch diese Rede angesprochen, entschied ich mich auf dem Rückweg fest für die Gründung der Hitlerjugend im Wedding.
Sie dürfen dabei nicht vergessen: Im Wedding gab es ganze Straßenzüge, die nur von Kommunisten beherrscht wurden. Da hing, wie beispielsweise in der Kösliner Straße, aus jedem Fenster die rote Fahne. Wo gab es das sonst in Deutschland, dass noch bei den Wahlen im März 1933, nach Hitlers Machtübernahme, die Kommunistische Partei stärkste Partei wurde? In den Zwanzigerjahren gab es hier fast täglich Überfälle und Schießereien. Denken Sie mal an den 1. Mai 1926, wo es in Berlin-Wedding und Neukölln in drei bis vier Tagen über zwanzig Tote gab, das war reiner Bürgerkrieg. Fast täglich Überfälle und Schießereien. Je mehr HJ in Erscheinung trat, desto mehr traf es sie auch. Wir wussten aber von Beginn an, worauf wir uns eingelassen hatten. Oder denken Sie nur an Horst Wessels1 Ermordung 1929. Oder Herbert Norkus2. Norkus gehörte meiner Gefolgschaft 1 an, sein Kameradschaftsführer war Gehrhard Mont, der ihn auch für die HJ gewann. Er war der Sohn eines Taxifahrers, Arbeiters und Parteigenossen. Er war begabt und besuchte die Oberrealschule, hatte musische Interessen wie Klavierspielen. Für eine von mir als Redner geleitete Versammlung, von der Schar Beusselkiez-Hansa organisiert, verteilte er am Sonntagmorgen Flugblätter, wobei er am 24. Januar 1932 ermordet wurde. Norkus war fünfzehneinhalb Jahre alt und gehörte der Berliner Marinejungschar der HJ an, da er später auch zur Marine und sich auf diese Weise schon auf die Zukunft vorbereiten wollte. Daneben tat er auch Dienst in einer Einheit im Beusselkiez; dort meldete er sich freiwillig zum Flugblattaustragen, das heißt, er nahm freiwillig die doppelte Belastung auf sich. Und so möchte ich sagen, dass sein Name für die Freiwilligkeit des Dienens steht. Dieses freiwillige Dienen in der Kampfzeit ist die sittliche Wurzel der HJ. Die weitaus überwiegende Mehrheit der HJ diente auch freiwillig in den Jahren des Aufbaus und später im Kriegseinsatz in der Heimat und an der Front.
Horst Wessel war mit seinem SA-Sturm schon zu Lebzeiten für uns Jungen wegen seiner Zuverlässigkeit, seiner Selbstbehauptung und seines Draufgängertums eine Legende. Er war Student der Rechte und kam aus einer gutbürgerlichen Familie, sein Vater war Feldgeistlicher in Hindenburgs Feldquartier und mit ihm gut bekannt, später Pfarrer in der Berliner Nikolaikirche. Dieser Student ging nun in das übelste Stadtviertel von Berlin mit dem Fischerkiez und dem Scheunenviertel, in dem die Unterwelt mit ihren Ringen3 und die Prostitution zu Hause waren. Dort wollte Wessel Arbeiter gewinnen. Das war Vorbild für uns, denn auch wir als Schüler wollten ja den Jungarbeiter zu uns holen. Bei meiner ersten Jugendbetriebszellenversammlung [JBZV] in Siemensstadt war ich 17. Dies hat mich große Überwindung gekostet: Ich lieh mir für die Fahrt ein Fahrrad. Als mir nach Betriebsschluss Mengen von Arbeitern entgegenkamen, fragte ich mich, wie ich als Schüler diesen Jugendlichen nahebringen soll, was für sie richtig ist. Als ich in die harten, gezeichneten Gesichter der Arbeiter schaute, wurde mir bewusst, dass diese Arbeiter Kinder in meinem Alter hatten, die sie versorgen mussten – und ich will denen was über die Zukunft erzählen. Trotzdem ist die JBZV für mich gut verlaufen, und wir gewannen sogar Mitglieder. Ich denke, der Grund dafür, dass ich angekommen bin, ist der, dass ich aus dem eigenen Erlebnis der Not gesprochen habe und nicht aus dem Intellekt. Über Folgen des Klassenkampfes; dann aber über Fragen im betrieblichen Alltag, zum Beispiel darüber, dass ein Jungarbeiter kaum Urlaub kannte und ihn auch nicht hatte, nur wenige, ein bis drei Tage.
Damals empfanden wir dies als Ungerechtigkeit und setzten uns für angemessenen Urlaub der Jungarbeiter ein, oder aber für eine ärztliche Gesundheitsüberprüfung in Berufsschulen. Sicherlich gab es einige wenige Betriebe, die sich um die gesundheitliche Verfassung der Jungarbeiter kümmerten. Oder die Tatsache, dass sie zu Berufsschulunterricht verpflichtet waren, die Arbeitgeber aber die ausgefallene Zeit nicht bezahlen wollten. So gab es viele diskutierte Fragen, und wir machten uns zu Vertretern und Kämpfern für ihre Belange. Das zog doch die Jugend besonders an, die sozialrevolutionäre Zielsetzung Hitlers.
Ein Jungarbeiter, der in der Wirtschaftskrise arbeitslos wurde, dann Arbeit suchte, aber keine fand: Das deprimierende Erlebnis führte ihn oft zur Jugend der NSDAP, von der er wusste, dass sie die dafür Verantwortlichen bekämpfte. Oder die Jugendlichen, die das Glück hatten, eine Lehrstelle zu bekommen – aber viele von ihnen erhielten überhaupt keine ordentliche Berufsausbildung, sondern wurden genau wie Erwachsene eingesetzt. Da sie so gut wie keine Vergütung bekamen und sich ausgenutzt vorkamen, revoltierten manche und fanden so den Weg zur HJ. Diese Jungen sahen die langen Schlangen vor den Arbeitsämtern und erlebten die Stürmung der Lebensmittelgeschäfte durch hungernde Menschen. Ich erinnere mich, wie ich mit zehn Jahren im Inflationsjahr 1923 meine Mutter am Lohntag von der Fabrik abholte und sie so schnell wie möglich, bevor das Geld nichts mehr wert war, Brot, Milch und Butter im nächsten Laden kaufte. Dies ging auch Kindern und Jugendlichen unter die Haut. Uns allen waren damals die sozialrevolutionären Ideale besonders wichtig und darum bemühten wir uns besonders, den Jungarbeiter für uns zu gewinnen.
Der damalige Jugendführer, Kurt Gruber, war Sozialist. Ich erinnere mich, dass Gruber, als er meine Gefolgschaft 1 in Berlin besuchte, uns geradezu beschwor, nie den Weg zum Sozialismus zu verlassen. Das gilt auch für Baldur von Schirach4, dessen große Richtlinie hieß: „Durch Sozialismus zur Nation“. Von Schirach ist nicht nur Musensohn gewesen. Ich weiß aus Nähe zu ihm und als sein Sachbearbeiter, wie tatkräftig er sich für die Verwirklichung unserer sozialrevolutionären Forderungen eingesetzt hat. Von Schirach hatte uns auch die Nähe zu Hitler voraus, da er ihn schon seit 1926 kannte, als Hitler ihn in seinem Elternhaus in Weimar besuchte. Von Schirach hatte immer die Möglichkeit, zu Hitler zu gehen und an seiner Tafelrunde teilzunehmen. Das war ein großer Vorteil seinen Vorgängern und Nachfolgern gegenüber.
Die SPD war damals marxistisch und trug die Hauptverantwortung für Not und Elend in der Weimarer Republik. Schon als Schüler habe ich auf der Reichstagstribüne den Niedergang des parlamentarischen Reiches erlebt. Da wurde unter Tumult nur geredet, aber nicht gehandelt. Otto Braun, zwölf Jahre Ministerpräsident in Preußen, schreibt darüber in seinen Erinnerungen: „Das Parlament versagte voll; keine Partei wollte Verantwortung für die unerlässlichen, unpopulären Maßnahmen auf sich nehmen, und jede schob sie anderen zu, und alle zusammen der Regierung.“ Brünings Worte 1931 in Schlesien, dass Parteien Mut haben müssten, dem Volk die Wahrheit zu sagen, verhallten ungehört, vergebens: Das Parlament blieb bei dem, was nicht nur das parlamentarische Regime gefährdete, sondern auch die Demokratie.
Der Nationalsozialismus war eine Antwort auf versagende Demokratie, worauf Führerstaat oder Diktatur oder Oligarchie folgt, oder – wie Platon sagt – eine „tyrannis“. Das ist der Pendelschlag in der Geschichte.
Das Erziehungsziel in der HJ? Ich antworte mit den Worten Baldur von Schirachs: „Die musische Erziehung in soldatischer Haltung.“ Unser Symbol für die Erziehung zur soldatischen Haltung war Potsdam. Hier atmete der Geist unseres größten Königs, der der erste Diener seines Staates war. Und hier weihte der Reichsjugendführer in der Garnisonkirche am 24. Januar 1934 342 Bannfahnen der HJ, die den Adler Friedrichs des Großen trugen. Symbol unserer musischen Erziehung war Weimar, wo unsere größten Dichter wirkten; dort fanden unsere Kulturtage, unser Reichsführerlager und die Weimar-Festspiele statt.
Es gab viele gleichwertige Probleme zu lösen, aber als Grundlage sahen wir die Erhaltung der Gesundheit der Jugend; weil Gesundheit für Leistungsfähigkeit des Einzelnen und für das ganze Volk wichtig ist. Hier mussten wir nach der Machtübernahme mit der Arbeit beginnen. Das war umso dringlicher, als die Kinder und Jugendlichen unter den Mangelerscheinungen der Ernährung gesundheitlichen Schaden nahmen. In der wirtschaftlichen Notzeit der Weimarer Republik setzte sich dieser Notstand mit häufiger Rachitis und Tuberkulose fort. In den Großstädten war es am schlimmsten; dort gab es manchmal Häuser mit fünf und sechs Hinterhöfen. Da erblickten Kinder nicht das Licht, sondern die Dunkelheit der Welt. Der Weltstadtapostel Dr. C. Sonnenschein5 erhob Anklage mit den Worten: „Ich schäme, mich im Norden und Nordosten die zehn Gebote zu predigen. Mietskaserne ist daran Verrat.“ Die Zeit bis zum 18. Lebensjahr ist der entscheidende Lebensabschnitt im Hinblick auf die körperliche, geschlechtliche sowie geistige Entwicklung und die Persönlichkeitsentwicklung. In diesem Alter werden oft die Weichen für das ganze Leben gestellt. Jugendliche durften also nicht als kleine Erwachsene behandelt werden, sondern als werdende Persönlichkeit mit speziellen Wachstumserscheinungen. Wir hatten ein böses Erbe aus der Nachkriegszeit übernommen und damit mussten wir fertigwerden.
Vor uns türmte sich 1933 ein Berg von Schwierigkeiten auf, weil wir fachkundige Ärzte brauchten. So gingen mein sozialhygienischer Berater Dr. Liebenow6 und ich erst mal in Klausur.
Er hatte schon Anfang 1933 auf der Gaudienststelle der Berliner Jugendbetriebszellen, am Schiffbauerdamm 19, Untersuchungen an arbeitslosen Jugendlichen durchgeführt, denen ich beiwohnte. Diese Untersuchungen sollten nun in der gesamten HJ durchgeführt werden, zuerst an den arbeitslosen und werktätigen Jugendlichen, da ja die Schüler durch die Schulgesundheitsfürsorge erfasst wurden. Diese Reihenuntersuchungen sollten durch eine würdige Kundgebung feierlich eröffnet werden. Dabei brauchten wir eine ärztliche Persönlichkeit, durch die der hohe Grad der Bedeutung unserer Maßnahme für die Volksgesundheit weithin sichtbar gemacht werden sollte. Unsere Wahl fiel nicht auf den ehrenwerten Reichsarzt der NSDAP, sondern auf den Nestor der deutschen Medizin, Geheimrat Professor Dr. August Bier7. Ich hatte riesigen Respekt vor ihm, seit mir bekannt war, dass er durch einen Versuch am eigenen Körper, nämlich durch eine Einspritzung in den Rückenmarkkanal, der Menschheit die Lokalanästhesie zur Betäubung der Schmerzen gegeben hatte.
Wir wussten damals nicht, ob Professor Bier irgendwelche Beziehungen zur NSDAP hatte. Insofern war unser Versuch, ihn für unsere Anliegen zu gewinnen, eine ziemlich gewagte Sache. Es gab auch gleich eine negative Überraschung, als ich hoffte, Biers Zusage durch das Angebot erreichen zu können, seine Rede würde durch den Rundfunk über alle deutschen Sender übertragen. Darauf antwortete er schroff: „Vor der ollen Quasselstrippe rede ich nicht!“8 Er gab uns schließlich seine Zusage, sei es, weil er als Arzt die positive Wirkung auf die Volksgesundheit voraussah, sei es, weil er als großer Erzieher, der er ja war, den Idealismus und die Initiative junger Menschen nicht enttäuschen wollte. So betrat der Nestor der deutschen Medizin am 19. November 1933 das Auditorium maximum der ehrwürdigen Berliner Charité, an der große deutsche Ärzte und Forscher gewirkt hatten. Die gesamte medizinische Fakultät erhob sich lautlos wie ein Mann. Selten habe ich in meinem Leben die Ausstrahlung und die natürliche Autorität einer Persönlichkeit so nachhaltig erlebt wie hier. In seiner Rede begrüßte Professor Bier aufrichtig das Selbsthilfewerk der Jugend und betonte, dass in früheren Jahren zwar unendlich viel über die Notwendigkeit der Betreuung der Jugend geredet, aber wenig getan worden sei. Seiner Ansicht nach habe freilich die Fürsorge schon längst vor dem schulpflichtigen Alter einzusetzen, um die beiden Hauptgefahren für junge Menschen frühzeitig abzuwenden, nämlich die Englische Krankheit9 und die Tuberkulose10.
Die Eröffnung der Reihenuntersuchung der HJ erhielt auch durch Teilnahme des preußischen Kultusministers, Dr. Bernhard Rust11, und des Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes, Prof. Dr. Reiter12, einen offiziellen Charakter; leider konnte Schirach als Jugendführer des Deutschen Reichs nicht erscheinen.
Wir haben das als Selbsthilfeaktion verstanden, als ein Selbsthilfewerk, nicht als staatliche Intervention.13
Unsere Erwartungen erfüllten sich im hohen Maße. Nach diesem Aufruf von Professor Bier meldeten sich bei uns zahlreiche Ärzte und Ärztinnen als Mitarbeiter, darüber hinaus viele Medizinstudentinnen und -studenten. Damit waren die Voraussetzungen zur Durchführung unserer gemeinnützigen Maßnahmen gegeben. Unter denen, die sich meldeten, waren auch Ärzte, die bereits damals in der Fachwelt, und übrigens auch bis heute, besten Ruf und hohen Rang besaßen. Zu den ersten Mitarbeitern in der Reichsjugendführung gehörte zum Beispiel der bedeutende Kinderarzt Prof. Dr. Gerhard Joppich14, der vor einigen Wochen im Alter von 88 Jahren in Göttingen gestorben ist. [Dieses Interview wurde 1992 geführt.] Er ist durch seine Schluckimpfung gegen die Kinderlähmung in die Geschichte der medizinischen Forschung eingegangen.
Diese neuen Aktiven mussten keine Mitglieder der NSDAP sein. Es war ihre eigene Entscheidung, uns genügte ihre Mitarbeit in der HJ. Zum Beispiel war der ärztliche Direktor der chirurgischen Abteilung des Berliner Robert-Koch-Krankenhauses Berater der Reichsjugendführung. Was Prof. Sauerbruch15 als Kapazität für Operationen im Bereich des Brustkorbs war, das war Prof. Gohrbandt16 für die Operation im Bereich der Bauchhöhle. Ich könnte Ihnen eine Vielzahl von Mitarbeitern nennen, die aus allen politischen Himmelsrichtungen zu uns kamen.
Praktisch sah die konkrete Umsetzung der Maßnahmen so aus: Zunächst wurden die Ergebnisse in Karteikarten und später im Gesundheitspass des Jugendlichen festgehalten, der ihn überallhin begleitete. Diese Untersuchungen waren gründlich und schlossen auch die Röntgenuntersuchung ein. Zwischen diesen gründlichen Reihenuntersuchungen im 10., 15. und 18. Lebensjahr wurden periodische Gesundheitsappelle durchgeführt, bei denen gesundheitsgefährdete Jugendliche einer nachgehenden Behandlung und Betreuung zugeführt wurden. Sowohl bei den Untersuchungen wie auch bei den Appellen wirkten auch die Zahnärzte mit. Bei festgestellten Schäden wurden die entsprechenden Behandlungsmaßnahmen eingeleitet, insbesondere im Hinblick auf die Erholungspflege.
Die Ärzte wirkten bei der HJ-Dienstplanfestlegung mit, um eine Überbeanspruchung der Jungen und Mädel zu vermeiden; außerdem trugen sie die Verantwortung für die gesundheitliche Sicherung bei Großveranstaltungen, Zeltlagern und Sondermaßnahmen; zusätzlich wurden Gesundheitsdienstmädel und Feldschere eingesetzt; dazu kam der Einsatz von mobilen Kliniken für Totaluntersuchungen und zahnärztliche Behandlungen. Sehr wichtig war die Gesundheitserziehung und damit auch der Feldzug gegen den Missbrauch von Alkohol und Nikotin; das Drogenproblem kannten wir ja damals noch nicht. Die Ärzte und Ärztinnen lebten mit dieser Jugend und nahmen an ihren Aktivitäten teil. Man wird sich gut vorstellen können, dass ein Arzt, der zusammen mit den Jungen in Scheunen oder im Zeltlager schlief, ganz andere erzieherische Einwirkungsmöglichkeiten hatte als der Sprechstundenarzt. Im Zusammenwirken von Arzt und Jugendführer lag die große Chance für den Erfolg der Jugenderziehung. Reichsjugendführer Baldur von Schirach erklärte das Jahr 1939 zum Jahr der Gesundheit unter dem Motto: „Du hast die Pflicht, gesund zu sein.“ Die körperliche Ertüchtigung und die gesunde Freizeitgestaltung trugen viel dazu bei, dass Jugendliche, auch wenn sie später erwachsen waren, nicht mit jedem kleinen Bagatellschaden zum Arzt liefen, um sich etwas verschreiben zu lassen.
Das Sozialversicherungssystem wurde durch die Prävention deutlich entlastet. Wir begannen dann mit der Vereinheitlichung der Jugendgesundheitsfürsorge durch einen gemeinsamen Runderlass der beteiligten Reichsministerien und der obersten Reichsbehörde der Jugendführer des Deutschen Reichs vom 6. März 1940. Fortan gab es nicht mehr einen Schularzt und einen HJ-Arzt, sondern einen Jugendarzt, durch den die schulpflichtige Jugend in der Schule und die werktätige Jugend in der HJ betreut wurde. Durch diese personelle Union und Rationalisierung wurde Doppelarbeit vermieden und höhere Wirksamkeit erzielt. Ich sah in dieser Lösung eine Entsprechung der im Entstehen begriffenen Jugendmedizin, die sich auf den entscheidenden Lebensabschnitt des werdenden Menschen und der werdenden Persönlichkeit konzentrierte.
Auch die Jugenderholungspflege hatte bereits Vorläufer in der Kampfzeit, als man auf dem Land Plätze für erholungsbedürftige Kameraden und Kameradinnen suchte und mit sehr bescheidenen Mitteln und geringen Verschickungszahlen operieren musste – wie zum Beispiel Fritz Krause17, der erste Sozialreferent der Reichsführung, der von München aus diese Landverschickung organisierte, bevor er Anfang 1933 als Landesjugendpfleger nach Mecklenburg ging. Ich denke an den Gau Berlin der Jugendbetriebszellen, der unter der Führung meines ältesten Bruders Kurt18 vor allem die Landverschickung arbeitsloser Mädel und Jungen ermöglichte.
Nach 1933 konnten wir die Jugenderholungspflege endlich auf eine viel breitere Grundlage stellen. Im ersten Jahr wurden etwa 70.000 bis 80.000 Landverschickungen durchgeführt. Ich erinnere mich daran, dass wir auch einige blasse und hohlwangige Kinder aus dem Saargebiet auf den Bahnhöfen in Empfang nahmen, aus einem späteren Teil des Reiches also, der sich erst 1935 durch eine überwältigende Volksabstimmung zu Deutschland bekennen konnte. Hier hatte sich vor allem den BDM-Führerinnen ein lohnendes Arbeitsgebiet erschlossen. In der Folgezeit wurde mit der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt [NSV] vereinbart, dass die HJ sich auf die Erholungsverschickung der an sich gesunden, und die NSV sich auf die gesundheitsgefährdete Jugend konzentrieren sollte. Die NSV konnte ihre Verschickungszahlen in kürzester Zeit auf über 500.000 steigern.
Wir haben uns in der Kampfzeit den Sorgen und Gefahren des Alltags gestellt, das konnte in der Zeit des Aufbruchs nach 1933 nicht anders sein. Wir suchten in der Kampfzeit nicht die Romantik der blauen Blume, sondern lebten in der Welt der Sachlichkeit, was der Stil unserer Zeit war. Außerdem waren wir keine kleine Gruppe, sondern erfassten fortschreitend die gesamte deutsche Jugend, womit wir auch die Mitverantwortung für die Stellung des Nachwuchses auf allen Lebensgebieten übernahmen. So sollten zum Beispiel ausgebildete Kräfte in der Jugend in Sachgebiete der Gemeinden, Länder und zentraler Dienststellen hineinwachsen.
Das geschah in den einschlägigen Fachorganisationen, wie z.B. der Arbeitsfront, deren Jugendsachbearbeiter zugleich dem Mitarbeiterstab der HJ angehörten. So hatte die Reichsjugendführung immer die Möglichkeit, ihre sachlichen Initiativen und ihre Vorstellungen zur Geltung zu bringen. Dadurch wurden die Ämter der Reichsjugendführung zu echten Führungsstellen.
Bürokratisierung, die uns gelegentlich vorgehalten wurde, konnte durch diese Lösung nicht total, jedoch weitgehend vermieden werden. Das jugendliche Leben mit Wandern, Fahrten, Spielscharen, Musikzügen und Sport wurde dadurch überhaupt nicht berührt. Im Unterschied zu den früheren Jugendbünden hatte die Hitlerjugend sachliche und politische Ziele zu verwirklichen, sie wollte, dass die Jugend in das Volksleben vorbereitet hineinwuchs. Im Hinblick auf die vorbereitende Berufsschulung bedeutete das, dass die HJ ihren erzieherischen Einfluss so einsetzte, dass möglichst viele Jungen und Mädel an diesen Maßnahmen in der Deutschen Arbeitsfront teilnahmen. Im ersten Jahr haben 400.000 Jungen und Mädel und im zweiten Jahr 750.000 Jungen und Mädel an dieser Berufsschulung teilgenommen. Die Berufsschulung wurde dem Dienst in der HJ gleichgestellt.
Millionen von Jugendlichen und Erwachsenen mobilisierten wir durch die Reichsberufswettkämpfe. Der Wettkampf ist so alt wie die Menschen. Wie vom Sport bekannt, steigert er die Leistung. Warum sollte das nicht auch im Beruf möglich sein, der die Menschen den ganzen Tag über in Anspruch nimmt? Wir hatten 1933 etwa eine Million Arbeitslose19 übernommen. Es gab zu viele ungelernte Jungarbeiter und Lehrlinge. Sie erhielten oft keine geordnete Ausbildung, sondern wurden für ein Butterbrot produktiver Arbeit zugeführt. Wir aber brauchten viele Facharbeiter für den Aufbau unserer Wirtschaft und um uns auf dem Weltmarkt zu behaupten – daher die Idee und der Anreiz des Wettkampfes.
Bereits 1922 hatte der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband, der DHV20, für junge Kaufleute einen Wettbewerb durchgeführt. Auch der Gewerkschaftsbund der Angestellten, er bezog sich jedoch nur auf kaufmännische Berufe, und die Teilnehmerzahl war relativ gering. Das Wertvolle für uns war jedoch, dass aus diesen Verbänden qualifizierte Mitarbeiter zu uns kamen wie Fritz Knoop21, Sim Winter, Hans Wiese und Wilhelm Krupp vom Gewerkschaftsbund der Angestellten. Wir wollten jedoch nicht nur junge Kaufleute, sondern alle Berufe, insbesondere die gewerblichen erfassen.
Schwierigkeiten gab es im Hinblick auf die umfangreiche Aufgabenstellung. Aber nicht nur damit, sondern auch mit den Bewertungsrichtlinien, der Beschaffung von Wettkampfstätten und vielem anderen. Die freiwilligen Fachkräfte, die Meister, Ingenieure, Berufsschullehrer, Betriebsführer, Männer der Wirtschaft und des Reichsnährstandes und die Obleute der Deutschen Arbeitsfront, die ja alle durch den Aufbruch und die Dynamik des Aufschwungs motiviert waren, sind am Ende dieser Schwierigkeiten Herr geworden. Die HJ- und BDM-Führer, unter ihnen meine engsten Mitarbeiter, sind im ganzen Land tags und nachts unterwegs gewesen, um zu diesem beruflichen Wettstreit in Kundgebungen, Appellen und Arbeitsbesprechungen aufzurufen. Im Jahr 1938 zählten wir etwa 300.000 Helfer, ohne die ein solches Gemeinschaftswerk nicht möglich gewesen wäre.
Auch viele Nichtparteigenossen hielten diesen Wettkampf für ganz vernünftig. Unsere besten sachkundigen Journalisten wie Günther Kaufmann22 und Albert Müller23 sorgten über Presse und Rundfunk dafür, dass unser Aufruf und unser soziales Anliegen noch im letzten Ort des Reiches vernommen wurden.
Am ersten Reichsberufswettkampf nahmen 500.000 Jungen und Mädel teil, am zweiten Reichsberufswettkampf 1935 nahmen zum ersten Mal 15.000 Studenten in ihrem Leistungswettbewerb teil. Wie brachten damit zum Ausdruck, dass die jungen Schaffenden der Stirn und der Faust in eine Front gehören. Durch die leistungssteigernde Wirkung des Reichsberufswettkampfes entschloss sich der Leiter der deutschen Arbeitsfront, Dr. Robert Ley24, den Wettkampf 1937 auf die Meistergesellen und Facharbeiter auszudehnen.
Insgesamt zählten wir 1938 bereits 2,8 Millionen Teilnehmer, darunter 1,4 Millionen männliche und 700.00 weibliche Jugendliche sowie auf Anhieb 500.000 Männer und 150.000 Frauen. Immerhin hatten wir also 850.000 weibliche Teilnehmer, die keineswegs nur aus sozialen und pflegerischen, sondern weitgehend aus gewerblichen Berufen kamen.
Zur landläufigen Auffassung, dass Frauen und Mädel auf die Küche beschränkt waren, stellte Erna Pranz25, die für die gesamte soziale Mädelarbeit verantwortlich war, im Oktober 1937 im „Jungen Deutschland“ fest: „Die seit Beginn des Jahres und nunmehr bis in absehbare Zukunft sich vollziehende Entwicklung zeigt ein weiteres, noch stärkeres Eintreten der weiblichen Jugend in die Berufstätigkeit.“ Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass für Mädels alle Berufe offen sind, sofern nicht gesundheitliche Gründe dagegen sprachen.
Im September 1939 zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde ich Soldat. Ich hatte im September 1938 beim Infanterieregiment Nr. 8 in Frankfurt/Oder eine Übung gemacht, nach der ich als Unterführeranwärter entlassen worden bin. Eingesetzt wurde ich im Abschnitt zwischen Merzig und Saarbrücken, wo Vorfeldkämpfe stattfanden. Meine Feuertaufe erhielt ich auf den Spicherer Höhen.
Im Januar 1934 war es zu einem Nichtangriffspakt und Verständigungsabkommen zwischen Deutschland und Polen gekommen, das war ein Hoffnungsschimmer, und ganz im Sinne dieser Verständigung war auch die Reichsjugendführung bemüht, eine Zusammenarbeit mit polnischer Jugend zu fördern. Ja, wer hat sich damals eine Lösung der Probleme zwischen Deutschland und Polen nicht auf friedlichem Weg gewünscht? Mir war ja bekannt, dass bereits 1933 der Versuch unternommen wurde, mit Polen ein normales und konfliktfreies Verhältnis herzustellen.
Wie schwierig das war, geht aus den Worten des großen polnischen Marschalls Piłsudski26 hervor, die er gegenüber dem deutschen Gesandten und späteren Botschafter in Warschau, von Mackensen27, ganz offen äußerte, als dieser ihm Vorschläge für friedliche Regelungen überbrachte. „Sagen Sie Ihrem Führer, ich glaube es gern, dass er bemüht ist, alle Probleme zwischen Deutschland und Polen zu lösen, er möge aber nicht übersehen, dass der Hass meines Volkes gegen alles Deutsche abgrundtief ist.“ Das habe ich schon als Junge zu spüren bekommen, als ich bei meinen Verwandten in Oberschlesien in den Ferien war und auf einer Fahrt mit Älteren unfreiwillig in eine Prügelei mit Polen geriet. Später habe ich dann auch von meinen Verwandten im verbliebenen Teil Westpreußens erfahren, welche Spannungen mit den Polen bestanden. Nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Vertreibung von Deutschen begonnen; in der Zeit von 1918 bis 1939 sind etwa eine Million Deutsche auf kaltem Wege durch Rechtsbrüche, Arbeitsplatzboykott mit Gewalt aus Polen vertrieben worden.
Wir haben an Erklärungen Hitlers und seiner Regierung geglaubt, und sie haben unsere innere Motivation im Krieg bestärkt. Oder ist es unnormal oder gar verwerflich, wenn die deutsche Jugend ihrer eigenen Führung mehr glaubt als anderen? Der französische Staatspräsident General de Gaulle sagte einmal, dass es in der Politik keine Freundschaften, sondern nur Interessen gibt. Wer kann aber deutsche Interessen besser vertreten als eine deutsche Führung?
Meine Ernennung als Nachfolger Baldur von Schirachs als Reichsjugendführer am 8. August 1940 kam für mich vollkommen überraschend. Es war eine der größten Überraschungen meines Lebens. Ich war zu dieser Zeit an der Westfront und wir befanden uns in unserer Ruhestellung in Saarwellingen. Als der Kompaniechef vor angetretener Kompanie den Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht verlas, dass ich zur Übernahme meines neuen Amtes nach Berlin in Marsch zu setzen sei, war mein erster Gedanke: Du haust ab und die anderen bleiben hier. Diese Situation war keineswegs angenehm für mich.
Auf meiner Fahrt von Saarwellingen nach Berlin, wo ich mich beim Oberkommando der Wehrmacht zu melden hatte, dachte ich darüber nach, und bei aller Freude, die ich über das Vertrauen, das man auf mich in der Kriegszeit setzte, schlichen sich auch sorgenvolle Gedanken ein. Als ich zur Truppe ging, hatte ich innerlich mit der Jugendarbeit abgeschlossen. Ich dachte mir, dass ich in die Erwachsenenarbeit gehe, wenn ich den Krieg überleben sollte. Ich stand ja schon mit einem Bein in der Erwachsenenarbeit als Leiter des Berufswettkampfes aller Schaffenden und als Geschäftsführer des Begabtenförderungswerkes, das war also kein Problem für mich.
Ich hatte keine persönliche Verbindung zu Hitler. Ein längeres persönliches Gespräch hatte ich mit ihm noch nicht führen können und ich malte mir aus, dass es im Krieg kaum Gelegenheit dazu geben würde. Insofern habe ich es auch begrüßt, dass Schirach zum Reichsleiter für Jugenderziehung ernannt wurde, sodass er mit in die Bresche springen könnte, wenn einmal Not am Mann war. Schirach gehörte aus alter Zeit zu seinen Vertrauten und konnte stets zu Hitler kommen, wenn er etwas auf dem Herzen hatte. Aber auch er bekam dann immer seltener Termine bei Hitler. Und in seinem Buch bekannte er, was ich nicht wusste, dass er bei Hitler in Ungnade gefallen war. Es war ein Vorteil für mich, dass ich aus meiner Arbeit bereits alle führenden Persönlichkeiten der Partei, des Staates und der Wehrmacht kannte. Ich hatte mir vorgenommen, mich besonders an Hitlers Stellvertreter, Rudolf Heß, zu halten, was dann auch bis zu seinem Flug nach England gut geklappt hat.
Wir hatten im Polenfeldzug über 300 HJ-Führer verloren. Bei fortschreitender Dauer des Krieges musste man mit wesentlich höheren Ausfällen rechnen, da Jugendführer ja zu den besten Soldatenjahrgängen zählten. In diesem Fall würden dann auch fortschreitend die Führungsvoraussetzungen für die Durchführung unserer Arbeit entfallen, und dem musste rechtzeitig vorgebeugt werden. So war der Schwerpunkt zu bilden, vor allem jüngere Führer, die noch nicht zur Wehrmacht anstanden, in Ausbildungseinheiten zu erfassen, wie sie ja hier und da bereits ins Leben gerufen worden waren. Dann gab es eine sehr wichtige Aufgabe zu erfüllen, nämlich laufend das Verhältnis zum Elternhaus und zur Schule zu pflegen. Schon in Friedenszeit war das unbedingt erforderlich, aber um wie viel mehr im Krieg, der viel größere Belastungen in der Heimat mit sich brachte, da war es geradezu lebenswichtig, dass eine Einheit und ein Gleichklang dieser Erziehungsfaktoren bestand.
Bis zu meiner Amtsübernahme im August 1940 waren circa 1200 HJ-Führer gefallen. Dennoch war es möglich, weitgehend bis ins Jahr 1944 die normalen Aufgaben der HJ außer dem Kriegseinsatz in der Heimat zu erfüllen. Ohne die jungen Führer und die Führerinnen des BDM wäre das nicht möglich gewesen, denn in der letzten Kriegszeit haben die BDM-Führerinnen zum großen Teil die kulturellen und sozialen Aufgaben auch der männlichen Jugend übernommen. Selbstverständlich wurden diese Tätigkeiten auf die Erfordernisse des Krieges ausgerichtet, so wurden zum Beispiel die Spielscharen und Chöre für Verwundetenbetreuung in den Lazaretten eingesetzt, oder es spielten die Musikzüge auf den Kundgebungen und Appellen der schaffenden Jugend. Die Werkarbeit mündete in Herstellung von Spielzeugen ein, die in jedem Jahr auf den Weihnachtsmärkten den Eltern und Kindern übergeben wurden. Dadurch wurde die Produktion der Spielzeugindustrie ersetzt, die im Krieg praktisch eingestellt war. Nach wie vor fanden die Filmstunden statt, wobei es sich Dr. Goebbels nicht nehmen ließ, sie alljährlich zu eröffnen. 1942 wurde das erste Mal die periodisch erscheinende Filmschau „Junges Europa“ auf den Weimar-Festspielen gezeigt. Auch die Dichterlesungen, Theatertage und unsere kulturellen Festspiele fanden nach wie vor statt. Gerade das kulturelle Erlebnis im Krieg ließ uns immer wieder bewusst werden, dass wir mit unserem Land auch die Heimat unserer Seele verteidigten. Selbst im fünften Kriegsjahr fand noch der musische Wettbewerb statt.
Zu den Kriegsaufgaben der HJ und des BDM. Es begann damit, dass die Jungen Melde- und Kurierdienste bei den verschiedensten Dienststellen versahen und Gestellungsbefehle austrugen. Mädel halfen bei der Verteilung der Lebensmittelmarken. Viele Führerinnen des BDM gingen in die Rüstungsindustrie oder wurden Schaffnerinnen bei den öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Reichspostminister Dr. Ohnesorge28 bedankte sich in jedem Jahre rührend für die Hilfe, die Jungen und Mädel der Reichspost besonders in den Stoßzeiten der Fest- und Feiertage geleistet haben. Die Jugend half im Bahnhofsdienst, Jungen schleppten Koffer, Mädel betreuten Kleinkinder, versorgten Durchreisende mit Getränken und teilten Essen aus. Sie machten sich nützlich beim DRK und in den Kindergärten, betreuten die Verwundeten und pflegten die Kriegsgräber. BDM-Führerinnen zogen hinaus in die verlassenen Dörfer in der Weite des Ostens, um dort als Schulhelferinnen tätig zu sein und um die Umsiedler zu betreuen, die 1941 schon bis zu einer Zahl von 250.000 angewachsen waren. Im harten Winter, wie zum Beispiel 1939/40, schippten die jugendlichen Kolonnen Schnee und räumten die Straßen frei, waren bei Überschwemmungskatastrophen zur Stelle und bepflanzten die Dämme mit Strandhafer oder Steckwurzeln. Die HJ wurde zu einer Sammelbewegung. Was wurde da nicht alles gesammelt! Papier, Altmaterial, Flaschen, Stanniol, Spinnstoffe, Leder und vieles mehr. Ich sehe noch die Jungen und Mädel vor mir, wie sie ihr Gut mit dem Handwagen zur Sammelstelle fuhren. Es wurden auch die Flugblätter gesammelt, die der Feind abgeworfen hatte, in denen sehr geschickt Unwahrheiten verbreitet wurden, die selbst den Wohlgesinnten Zweifel bringen konnten. Die Flugblätter wurden dann im nächsten Gendarmerieposten oder dem Polizeirevier übergeben. Es fand der große Einsatz der HJ für die Heil- und Teekräutersammlung statt; gesammelt wurden Lindenblüten, Löwenzahn, Brennessel, Spitzwegerich, Zinnkraut und so weiter. Für das Jahr 1941 wurden circa 400.000 Kilogramm Tee und Heilkräuter als Zielvorgabe bestimmt. Die Aktion erfolgte nach Richtlinien, zu welcher Zeit und wie die einzelnen Heilkräuter gesammelt, gelagert, getrocknet und transportiert werden sollten. Mit dieser Maßnahme wurde der Heilkunst und der pharmazeutischen Industrie ein wertvoller Dienst erwiesen. Nicht nur für die Getreide-, sondern auch für die Heu-, die Rüben-, die Kartoffel- und die Hopfenernte bis zur Traubenlese wurden die jungen Menschen eingesetzt. Das war ein bedeutender Beitrag für die Sicherung der Ernährung.
Die HJ und der BDM wurden im Luftschutz ausgebildet. Sie haben sich unter dem immer stärker werdenden Bombenterror als Helfer bewährt. Jungen waren bei den Schnellkommandos der Polizei, wobei auf einen Polizisten drei Hitlerjungen kamen. Die Feuerwehrscharen bekämpften Brandbomben bzw. löschten brennende Häuser. Nach erfolgten Luftangriffen halfen Jungen und Mädel bei der Beseitigung der Trümmer sowie bei der Bergung der Verschütteten und Toten. Wir gründeten Handwerker- und Dachdeckereinheiten, die nach Luftangriffen Schäden an Dächern zu reparieren hatten und die bei dem Aufbau von Behelfsbauten für Obdachlose und Bombengeschädigte mitwirkten.
1941, Anfang 1942 wurde vom Inspekteur des Erziehungsund Bildungswesens im Oberkommando des Heeres ins Gespräch gebracht, dass die Ausbildung in der Wehrertüchtigung der Jugend zweckmäßigerweise in den Kasernen stattfinden sollte. Diese Auffassung konnte sich die Reichsjugendführung nicht zu eigen machen. Um diese unterschiedlichen Auffassungen nicht in der Schwebe zu halten, beantragten wir gemeinsam einen Besprechungstermin bei Hitler, den wir auch sehr schnell auf dem Obersalzberg erhielten. Wir beide trugen Hitler unsere Konzeptionen vor. Hitler entschied sich für die Fortsetzung der jugendgemäßen Wehrertüchtigung, und diese Entscheidung wurde auch vom Heer in fairer Weise respektiert. Damit begann die Errichtung der Wehrertüchtigungslager der HJ mit dreiwöchiger Lehrgangsdauer, für die auch Urlaub erteilt wurde.
Durch die Verordnung über den Kriegshilfseinsatz der deutschen Jugend in der Luftwaffe vom 26. Januar 1943 wurden Schüler der höheren und mittleren Schulen, die das 15. Lebensjahr vollendet hatten, zum Dienst als Luftwaffenhelfer einberufen. Der Einsatz erfolgte in der Regel am Schulort. Nur Schüler in Internaten wurden geschlossen außerhalb des Schulortes eingesetzt. Durch diesen Kriegshilfsdienst der männlichen Jugend in der Luftwaffe wurde keine Zugehörigkeit zur fliegerischen Bevölkerung begründet. Die Reichsjugendführung hat die Heranziehung der Schüler durch das von Göring initiierte Dekret nicht begrüßt, sie hätte es lieber gesehen, wenn die Heranziehung auf der Grundlage der Freiwilligkeit erfolgt wäre und sich auch auf die werktätige Jugend erstreckt hätte. Die Mitunterschrift unter dieses Dekret konnten der Reichsminister des Innern, der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, der Leiter der Parteikanzlei und ich als Jugendführer des Deutschen Reichs aber nicht versagen, weil der Himmel über unserem Land von der feindlichen Luftwaffe derart beherrscht wurde, dass unsere Bevölkerung Tag und Nacht lebensgefährlich bedroht war. Daher musste die Abwehr unbedingt verstärkt werden, und dieser Aufgabe sind die Luftwaffenhelfer der HJ in vorbildlicher Weise gerecht geworden. Als junge Soldaten haben sie sich sowohl an den Messinstrumenten sowie an den Flak-Geschützen unter Darbringung vieler Opfer bewährt. In der Folgezeit gab es auch die Marinehelfer. Gegen Ende des Krieges wurden dann nach und nach die Schüler durch berufstätige Jugendliche und verwundete Soldaten abgelöst.
Stalingrad war wie eine Zäsur; der Scheitelpunkt schien überschritten. Als Jugendführer wollten wir nicht in Resignation verfallen, denn die Forderung auf bedingungslose Kapitulation, wie sie am 14. Januar 1943 in Casablanca von Roosevelt gefordert wurde, führte uns vor Augen, was danach unser Schicksal sein würde. Es galt also, ein Zeichen nach vorn zu setzen. Darüber sprach ich mit meinem Mitarbeiter Gustav Memminger29. In diesem Gespräch ergab sich als Antwort auf Stalingrad der Gedanke der Aufstellung einer freiwilligen Division aus den ältesten Jahrgängen der HJ. Die erste Besprechung mit SS-Obergruppenführer Berger fand am 16. Februar 1943 statt; kurz darauf befahl Hitler die Aufstellung der Division, die später die Bezeichnung „12. SS-Panzerdivision Hitlerjugend“ trug.
Bei Besichtigungen durch den Generalinspekteur der Panzertruppen, Generaloberst Guderian30, und den General der Panzertruppen West, General Geyr von Schweppenburg31, wurde festgestellt, dass die Division die bestausgebildete an der ganzen Westfront war. Die Division hatte eine zehnmonatige Ausbildungszeit. Das war im Jahr 1943 etwas Einmaliges. Auch an schwerer Bewaffnung mangelte es nicht.
Die Jungen, die zum Schluss des Krieges gekämpft haben, das waren Jungen vom großen Flüchtlingstreck aus dem Osten, die ihre Eltern verloren hatten, die erlebt hatten, wie ihre Mütter und Schwestern vergewaltigt worden waren. Das waren Jungen, die ihre kleinen Geschwister als geschrumpfte Kinderleichen im Schuhkarton sahen. Sicher, das ist richtig, dass von schweren Opfern gesprochen wird. Man darf aber dabei nicht vergessen, dass diese Jugend durch ihren Einsatz andere Menschenleben gerettet und Opfer erspart hat. Sie haben Verschüttete unter den Trümmern gerettet, Lager mit Explosivstoffen und Chemikalien im letzten Augenblick geräumt, damit es nicht zu einer Katastrophe kam. Oder, ich nenne ein Beispiel aus Püritz, in Pommern, wo das dritte Aufgebot unter Führung eines HJ-Führers und Offiziers die Sowjetrussen aufgehalten hat. Der militärische Führer, Oberst Weiß, erklärte zum Abschluss der Operation: „Ohne den Einsatz dieser jungen Kämpfer wäre die Rettung von Tausenden von Flüchtlingen über die Brücken bei Stettin nicht möglich gewesen.“ Es war nicht erstmalig, dass 15- bis 16-Jährige im Kriegsgeschehen eingesetzt wurden. Denken wir mal daran, dass Carl von Clausewitz seine Feuertaufe als 13-jähriger Fähnrich in den Laufgräben von Mainz im Krieg gegen die französische Revolutionsarmee erhielt, dass Heinrich von Kleist mit 15 Jahren ins Potsdamer Garderegiment eingetreten ist und ebenfalls im Alter von 16 Jahren am Rheinfeldzug teilgenommen hat. Napoleon rief 1812/1813 die 16-Jährigen zu den Waffen, Wandervögel im Ersten Weltkrieg waren dann schon mit 16 oder 17 Jahren Offizier. In jedem Krieg, ob verschuldet, nicht verschuldet oder teilverschuldet, geht es immer um die Zukunft der Jugend. Deswegen empfindet auch die Jugend instinktiv von sich aus, nun alles zu tun, dass ein Krieg nicht verloren geht. Und die Jugendlichen in den Großstädten und Ballungsgebieten hatten bei den Bombenangriffen immer das Gefühl, dass sie dagegen vollkommen wehrlos waren und dass es dann immer noch besser ist, mit der Waffe in der Hand sich selber zu wehren. Sicher werden das nur die verstehen, die damals gelebt haben. Ich erinnere an die Worte mancher Frontsoldaten, die in die bombardierte Heimat kamen: „Wir desertieren jetzt an die Front.“
Als ich im August 1940 von Hitler zum Reichsjugendführer der NSDAP ernannt wurde, hatte ich noch nie ein persönliches Gespräch mit dem Führer geführt. Das war bei meinem Vorgänger Baldur von Schirach, der zum Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien ernannt wurde, ganz anders: Hitlers Verhältnis zu Schirach war über Jahre gewachsen; Hitler war sein Trauzeuge und Baldur von Schirach hatte einen fast familiären Zugang zu ihm.
Diesen Zugang bekam ich, trotz verschiedener Treffen mit Hitler, nie. Mir gegenüber verhielt sich Hitler stets freundlich distanziert, zeigte sich aber bestens informiert, wenn es um Klärung von Sachfragen ging.
In Hitlers nähere Umgebung bin ich erst in der letzten Phase des Krieges gekommen. Wenn ich in Berlin zu meiner Dienststelle fuhr, passierte ich immer die Havelbrücken. Bei der Gratulation zum letzten Geburtstag von Hitler hatte ich gehört, dass mit der Entsetzung Berlins durch die Armee Wenck32 gerechnet wurde. Für diesen Fall stellten die Brücken eine Schlüsselposition dar, und da sie nur von einem Volkssturmmann bewacht wurden, bin ich sofort in den Führerbunker gefahren, um darüber Meldung zu erstatten. Im Bunker bin ich unmittelbar zu Hitler vorgelassen worden. Er erkannte sofort, dass diese Schlüsselstellung ausreichend gesichert werden musste. Da aber weder der Kampfkommandant von Berlin, Weidling33, noch der Generalstabschef Krebs34 dafür Kräfte besaßen, wandte sich Hitler an mich mit der Frage: „Haben Sie noch eine Einheit zur Verfügung?“ Ich bejahte das, weil tatsächlich wenige hundert Meter von den Brücken im Olympiastadion ein Bataillon des dritten Aufgebots lag. Ich konnte doch mein Staatsoberhaupt nicht belügen. Ich wies allerdings darauf hin, dass diese Einheit über keine schweren Waffen verfügte. Darauf beorderte Hitler eine 8,8 Flak dorthin. Diese kam aber nicht mehr an. Ich bat meinen Mitarbeiter und Freund, Dr. Ernst Schlünder35, diese Einheit selber zu führen, da er im Ersten Weltkrieg als 16-Jähriger kriegsfreiwillig gekämpft hatte und am besten wusste, wie unnötiges Blut zu sparen war. Die Pichelsdorfer Brücken wurden bis zum Schluss gegen die Russen gehalten. Dieser Einsatzbefehl von Hitler ist von dem Heeresadjutanten beim Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, Major Johannmeyer36, sowie von dem Mitarbeiter des Generalstabschefs, der die ausgehenden Befehle Berlin Potsdam bearbeitete, Major Boldt37, mir gegenüber eidesstattlich bestätigt worden.
Den körperlichen Verfall Hitlers bemerkte ich zum ersten Mal bei der letzten Gau- und Reichsleitertagung am 24. Februar 1945. Zu diesem Zeitpunkt war der Krieg bereits in seine letzte Phase getreten. Hitler sprach gebeugt und seine Hand zitterte sichtbar. Er sprach offen über seine gesundheitlichen Einschränkungen und seinen ungebrochenen Willen, das Schicksal noch einmal zu Deutschlands Gunsten zu wenden. Seine tiefe gutturale Stimme klang noch immer fest und entschlossen. Dennoch gingen alle Beteiligten dieser Runde bedrückt und ernst zurück in ihre Gaue.
Eine weitere Begegnung mit Hitler, die fälschlicherweise immer wieder auf den 20. April 1945 datiert wird, fand am 20. März 1945 statt. An diesem Tag war eine Abordnung der Hitlerjugend im Garten der Reichskanzlei angetreten und ich stellte Hitler Jungen vor, die sich in den zurückliegenden Tagen im Einsatz bewährt hatten. Es war für alle unübersehbar, dass mit diesen Jungen unser letztes Aufgebot im Kampf stand. Hitler schritt gebeugt und mit seiner auf dem Rücken versteckten zitternden Hand die Jungen ab, sprach mit dem einen oder anderen einige Worte und gratulierte allen zu ihrem Mut. Dieses Treffen wurde für die Wochenschau festgehalten und so entstanden die letzten Filmaufnahmen Hitlers vor seinem Freitod.
Genau vier Wochen später, am Nachmittag des 20. April 1945 – der Feind stand nur noch wenige Kilometer vom Führerbunker entfernt –, fand ich mich erneut mit einer Abordnung der Hitlerjugend sowie Angehörigen der Kurland-Armee38 und der SS-Division „Frundsberg“39 im Garten der Reichskanzlei ein, um Hitler zu seinem Geburtstag zu gratulieren. Der Führer und seine engsten Mitarbeiter, darunter Martin Bormann, Albert Speer, Heinrich Himmler und Dr. Goebbels, kamen aus dem Führerbunker. Hitler ging leicht gebeugt. Seine zitternde Hand hielt er wieder hinter dem Rücken verschränkt. Er bedankte sich für unsere Glückwünsche und sprach kurz zu uns. Er verglich dabei unser Volk mit einem Schwerkranken, der nur seinen Lebenswillen behalten müsse, um am Ende gerettet zu werden. Die Schlacht um Berlin müsse gewonnen werden, dann würde sich das Schicksal wenden. Ich muss zugeben, dass ich in dieser fast unwirklichen Situation – wir hörten schon das Geschützfeuer der Front – von der ungebrochenen Willenskraft Hitlers fasziniert war und unter seinem Bann stand.
Infolge der militärischen Entwicklung – inzwischen tobte in Berlin der Straßen- und Häuserkampf – verlegte ich meinen Gefechtsstand Ende April auf Befehl Hitlers in die Parteikanzlei, Wilhelmstraße 64, schräg gegenüber vom Führerbunker. Wenn ich Meldung im Führerbunker machen musste, lief ich, meistens mit einem Tuch vor Nase und Mund als Schutz gegen den beißenden Qualm, ins gegenüberliegende Auswärtige Amt. Von dort führte ein verwinkelter Gang in den sogenannten Vorbunker und eine Treppe hinab in den Vorraum des Lagezimmers.
In den letzten Tagen fanden täglich zwei oder drei Lagebesprechungen statt, an denen ich aber nur hin und wieder teilnahm. Hitlers körperlicher Verfall war unübersehbar. Er beschwerte sich, dass seine Befehle nicht ausgeführt würden und ihm geschönte Meldungen überbracht würden statt realistischer Einschätzungen. Ob er selbst noch an eine Wendung glaubte, vermag ich nicht zu sagen. Uns gegenüber ließ er jedenfalls keinen Zweifel an seinem Willen, die Schlacht um Berlin zu gewinnen.
Ein letztes, sehr persönliches Zusammentreffen mit Hitler ergab sich in der Nacht vom 29. auf den 30. April – wenige Stunden vor seinem Freitod. Ich hielt mich im Lagevorraum des Führerbunkers auf, als Hitler aus seinen Wohnräumen in den Vorraum trat und sich auf eine kleine Bank setzte. Wir fanden in dieser Nacht beide keinen Schlaf. Im Bunker herrschte Stille; wir waren allein. Nur die Ventilatoren summten. Hitler lud mich mit einer Handbewegung ein, mich neben ihn zu setzen. Ich kann nicht sagen, wie lange wir schwiegen, bis Hitler die Stille unterbrach und sich nach meiner Familie und meinem Werdegang erkundigte. Ich schilderte ihm meine Jugendzeit und die aufopfernde Arbeit meiner Mutter, die nach dem Tod unseres Vaters viele Jahre in der Fabrik arbeitete, um ihre drei Söhne durchzubringen. Hitler hörte schweigend zu und antwortete schließlich: „Die größte Lehrmeisterin im Leben ist immer die Not.“
Angesichts der verzweifelten Lage, in der wir uns befanden, wandte ich mich an Hitler und fragte ihn: „Was wird aus unserem Volk? Wir waren doch überzeugt, dass unsere Geschichte erst begonnen hat. Wir können doch jetzt nicht am Ende unserer Geschichte stehen. Das kann doch nicht das Ende sein?“40 Hitler schwieg eine Weile und antwortete dann mit ruhiger Stimme: „Mich packt das Grauen, wenn ich daran denke, wie unsere Feinde das Reich zerstückeln werden. Es geht um das nackte Überleben unseres Volkes, das so viel Leid ertragen musste. Wenn dieses Volk innerlich geeint bleibt, dann wird es auch wieder einen Aufstieg geben.“ Dann schwieg er eine Weile und sagte: „Ideen leben nach eigenen Gesetzen fort. Axmann, es kommt etwas vollkommen Neues. “
Wir saßen schweigend nebeneinander, niemand störte uns. Die Waffen schienen für eine Zeitlang zu schweigen, denn es waren keine Detonationen zu hören. Schließlich nahm Hitler das Gespräch wieder auf und sagte: „Mir ist im Leben nichts erspart geblieben, vor allem nicht in den letzten Tagen. Meine Mitarbeiter haben mich verlassen. Die größte Enttäuschung von allen ist Himmler. Der Tod wird für mich eine Erlösung sein.“
Meine Kehle war wie zugeschnürt. In diesem Moment war mir klar, dass Hitler sich das Leben nehmen würde. Als ich ihm versprach, treu an seiner Seite zu stehen, wurde seine Stimme rau. „Was wollen Sie bei einem Toten? Ihr Platz ist bei den Lebenden.“ Ich schwieg erschüttert. Neben mir saß ein geschlagener Mann, der noch vor wenigen Jahren über Europa geboten hatte. Das Ende war gekommen.
Schließlich stand Hitler mühsam auf und schaute mich an. Dabei erfasste mich aber sein Blick nicht mehr, wie er es früher tat, sondern er sah durch mich hindurch wie in eine weite Ferne. Er wandte sich ab, ging gebeugt, wortlos in seinen Wohnraum und schloss die Türe hinter sich. Das war mein Abschied von ihm.
Am nächsten Tag, es war der 30. April 1945, ging ich noch einmal zurück in den Bunker. Es muss so gegen 15 Uhr gewesen sein. Die russischen Scharfschützen hatten bereits rund um den Führerbunker Stellung bezogen und schossen auf alles, was sich bewegte. Im Bunker angekommen, sagte mir Dr. Goebbels, den ich schon in der Kampfzeit als unerschrockenen Redner und Gauleiter von Berlin kennengelernt hatte, der Führer hätte sich bereits von seinen engsten Mitstreitern verabschiedet und habe sich mit seiner Frau Eva in seine Privaträume im Bunker zurückgezogen. Otto Günsche, der persönliche Adjutant des Führers, stand vor den Privaträumen Hitlers und erklärte mir, dass er niemanden mehr einlassen dürfe. Ich ging zurück in den Lageraum, in dem sich Dr. Goebbels, Martin Bormann und einige andere aufhielten. Die Stimmung war gedrückt, wir schwiegen und warteten auf das Unvermeidliche.
Gegen 15:30 Uhr erschien Otto Günsche und teilte uns mit, der Führer sei tot. Wir folgten Günsche zu Hitlers Wohnraum, blieben im Eingang stehen und grüßten die Toten mit erhobenen rechten Armen. Hitler saß in seinem feldgrauen Rock mit dem Eisernen Kreuz in der rechten Ecke eines kleinen Sofas. Ein Arm hing über die Sofalehne, sein Oberkörper war geneigt und sein Kopf nach hinten gefallen. Von seiner Schläfe führte eine Blutspur über die Wange. Die Pistole, mit der er sich offensichtlich erschossen hatte, lag vor ihm auf dem Teppich.
Hitlers Frau, Eva, trug ein blaues Kleid und saß mit angewinkelten Beinen neben Hitler. Sie hatte sich vergiftet und machte auf uns den Eindruck einer Schlafenden.
Goebbels und ich gingen wortlos zurück in den Lageraum. Der kleine, schmächtige Mann wirkte tief erschüttert.
Kurze Zeit später trugen SS-Männer die in eine Wolldecke gehüllte Leiche Hitlers nach oben. Bormann trug die tote Eva Hitler, die Otto Günsche ihm aber abnahm. Das Verhältnis von Eva Braun und Bormann war zu Lebzeiten kein gutes und Günsche wollte offenbar vermeiden, dass ausgerechnet Bormann Eva aus dem Bunker tragen würde.
Goebbels folgte den Toten, kam aber nach kurzer Zeit wieder zurück. Ich selber konnte den Anblick der brennenden Leichen nicht ertragen und blieb im Bunker. Otto Günsche gab mir später die 7,65 mm Pistole, mit der Hitler sich erschossen hatte und eine zweite mit Kaliber 6,35, die der Führer in den letzten Tagen aus Sicherheitsgründen immer bei sich getragen hatte. Die 7,65 mm Pistole habe ich bei meiner späteren Flucht versteckt, um sie nicht als Kriegsbeute in die Hände unserer Gegner fallen zu lassen. Die 6,35 mm Pistole überließ ich Gisela Herrmann41, der Gebietsmädelführerin von Berlin, die schwer verletzt im Lazarett unter der Reichskanzlei lag.
Wenig später verlas Bormann, der nach Hitlers Tod zu einem unscheinbaren Uniformträger geworden war, Hitlers Testament, in dem Dr. Goebbels zum Reichskanzler ernannt wurde. Dr. Goebbels blieb auch in diesen schweren Stunden die Persönlichkeit, die er immer war. Als seine Versuche, einen Waffenstillstand mit den Russen auszuhandeln, scheiterten, sagte er uns: „Ich habe Berlin gegen die Roten erobert, jetzt werde ich es auch bis zum Ende gegen die Roten verteidigen. Die kurze Zeit, die ich als deutscher Reichskanzler zu leben habe, werde ich nicht missbrauchen, um eine Kapitulationsurkunde zu unterzeichnen.“
Als ich am Nachmittag den Führerbunker verließ, um meine Mitarbeiter im Keller der Parteikanzlei über das Geschehene zu unterrichten, kam ich an Hitlers Mantel und Mütze vorbei, die achtlos an einem Kleiderhaken hingen, während seine sterblichen Überreste und die seiner Frau Eva in einem Bombentrichter im Garten der Reichskanzlei verbrannten. Nie wieder habe ich die Vergänglichkeit irdischer Macht so tief empfunden wie in diesem Augenblick.
Nachdem alles für unseren Ausbruchsversuch vorbereitet war, ging ich am Abend gegen 20:30 Uhr noch einmal zurück in den Bunker, um mich von Dr. Goebbels und seiner Frau zu verabschieden. Dort teilte mir Wilhelm Mohnke42, den Hitler erst wenige Tage zuvor zum Befehlshaber über die Verteidigungskräfte des Regierungsviertels ernannt hatte, mit, dass Dr. Goebbels und seine Frau bereits aus dem Leben geschieden waren.
Adolf Hitler und Dr. Goebbels waren tot. Berlin war gefallen. Am Abend des 1. Mai 1945, etwa dreißig Stunden nach Hitlers Freitod, machten wir uns auf den Weg, um aus dem eingeschlossenen Berlin zu entkommen.
1Horst Wessel, 1907 – 1930, SA-Sturmführer in Berlin, von einem KPD-Mann in Berlin getötet. Es ging dabei um eine private Vergeltungsaktion. Wessel wurde von der NSDAP zum Märtyrer stilisiert.
2Herbert Norkus, 1916 – 1932, war ein Hitlerjunge, der bei einer Propagandaaktion in Berlin von Kommunisten getötet wurde.
3Gemeint sind Ringvereine, kriminelle Vereinigungen, die Raubzüge begingen und in Hehlerei, Prostitution sowie Verschieben aller Arten von Waren, besonders von Alkohol, verwickelt waren. Für treue Frauen Inhaftierter zahlten die Ringvereine eine Rente.
4Baldur von Schirach, 1907 – 1974, Reichsjugendführer der NSDAP seit 1931, Jugendführer des Deutschen Reichs seit Juni 1933. Machtkampf mit Artur Axmann um die führende Rolle bei der Jugenderziehung. Schirach trat 1939 freiwillig in die Wehrmacht ein und nahm 1940 am Frankreichfeldzug teil. Axmann wurde erst sein Stellvertreter, ab August 1940 sein Nachfolger, als Schirach Gauleiter von Wien wurde. Wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof zu 20 Jahren Haft verurteilt.
5Carl Sonnenschein, 1876 – 1929, katholischer Priester aus Mönchengladbach, seit 1918 in Berlin, über den Kurt Tucholsky 1931 schrieb: „Er war kein Seelsorger; er war zunächst ein Leibsorger. Er war für sich eine ganze Heilsarmee. Das schönste und treffendste Wort hat ein Junge auf der Straße gesprochen, als er den riesigen Trauerzug mit den vielen Armen sah: ‚Nanu? Wer wird denn da begraben? Der war ja mit der ganzen Welt verwandt!‘“ (Quelle: Katholische Hörfunkarbeit)
6Prof. Dr. Richard Franz Liebenow, 1898 – 1945, 1927 – 1933 Mitglied der SPD; NSDAP seit 1. Mai 1937, Mitgliedsnummer 5.853.992, ab 1932 beamteter Stadtschularzt, Sozialhygieniker in Kreuzberg, ab 1933 HJ-Gebietsarzt für Berlin und Abteilungsleiter für Sozialhygiene im Sozialen Amt der Reichsjugendführung, 1939 Intendant der Akademie für Jugendführung in Braunschweig. Liebenow wurde von Hitler zum Professor ernannt. Er war auch der private Arzt von Axmann. (Quelle: Michael Buddrus: Totale Erziehung zum totalen Krieg. Hitlerjugend und nationalsozialistische Jugendpolitik, München 2003)
7August Bier, 1861 – 1949, Chirurg, Hochschullehrer, Forstmann. Rückenmark-Periduralanästhesie PDA durch Eigenversuch eingeführt. Seine Lazarettbesuche brachten ihn zur Entwicklung des deutschen Stahlhelms M1916, der sich rasch durchsetzte und viele Soldaten vor schweren Kopfverletzungen schützte. Seit 1932 Vorsitzender der Berliner Chirurgischen Gesellschaft. Bier erhielt 1937 gleichzeitig mit Prof. Sauerbruch beim Reichsparteitag der NSDAP den Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft, dotiert mit 100.000 Reichsmark, eine Art „alternativer, deutscher“ Nobelpreis. (Quelle: Wikipedia)
8Anders Michael Buddrus in seinem Buch „Totale Erziehung für den totalen Krieg“: Die Rede von Prof. Bier am 19. September 1933 sei von allen Rundfunksendern übertragen worden. Buddrus folgt sonst der Erzählung von Axmann, mit dem er nach eigenen Angaben auch korrespondiert und persönlich gesprochen hat.
9Rachitis, meist aufgrund von Vitamin D-Mangel: Erkrankung des wachsenden Knochens und gestörte Mineralisation der Knochen
10Lungentuberkulose, TBC, eine bakterielle Infektionskrankheit, übertragen durch Tröpfcheninfektion, gefährlich besonders bei Immunschwäche
11Bernhard Rust, 1883 – 8.5.1945 (Selbstmord), 1933/34 leitete er das preußische Kultusministerium, 1934–1945 das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung – ein Hauptvertreter nationalsozialistischer Erziehung.
12Hans Reiter, 1881 – 1969 (Kassel-Wilhelmshöhe), Bakteriologe, Hygieniker, Präsident des Reichsgesundheitsamts, aktiv für den öffentlichen Gesundheitsdienst. Eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erfolgte nach den bekannten Quellen nicht.
13Eine eigentlich staatliche Aufgabe wird von der HJ übernommen. Der Aufbau einer eigenständigen HJ-Gesundheitsorganisation begann.
14Gerhard Paul Waldemar Joppich, 1903 – 1992, Kinderarzt und Hochschullehrer, wollte helfen, so hieß es in einer gemeinsamen Erklärung, „Schäden zu überwinden, an denen die vergangene Zeit krankte, damit ein gesundes, lebensmutiges und opferwilliges, der nationalsozialistischen Idee entsprechendes Geschlecht heranwächst.“ 1933 – 1942 Gebietsarzt der HJ in Köln-Aachen, ab Januar 1940 im Stab der Reichsjugendführung RJF. Teilnahme am Westfeldzug, am Russlandfeldzug, mehrere Auszeichnungen. Seit Oktober 1941 Ärztlicher Direktor des Kaiserin-Auguste-Victoria-Hauses in Berlin. Ab 1942 Leiter der Abteilung Jugendmedizin im Amt für Gesundheitsführung der Reichsjugendführung, Hauptamt für Volksgesundheit in der NSDAP. 1954 Chef der Universitätskinderklinik Göttingen, 1961 erfolgreich bei der Einführung der Schluckimpfung, 1972 emeritiert.
15Ernst Ferdinand Sauerbruch, 1875 – 1951, bedeutender und einflussreicher Chirurg an der Charité. Einerseits kein NSDAP-Mitglied und kein überzeugter Antisemit, andererseits glühender Patriot, der im September 1933 in einem offenen Brief an die Ärzteschaft der Welt die „Wiedergeburt unseres unwürdig behandelten und zurückgesetzten Volkes" forderte.
16Erwin Gohrbandt, 1890 – 1965, Chirurg, Hochschullehrer. Feldarzt im WK I, 1920 – 1928 Charité-Chirurgie. 1928 Prof. und Wechsel zum städtischen Urban-Krankenhaus. 1931 gehörte Gohrbandt zu den ersten Chirurgen, die bei transsexuellen Patienten eine geschlechtsangleichende Operation mit Vaginoplastik vornahmen – eine experimentelle Pionierleistung. In der Zeit des Nationalsozialismus war Gohrbandt wissenschaftlicher Mitarbeiter für chirurgische Fragen im Sozialen Amt des Reichsjugendführers, 1940 Klinikdirektor Robert-Koch-Krankenhaus. Ab 1944 war er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Generalkommissar des Führers für das Sanitäts- und Gesundheitswesen Karl Brandt.
In der Nachkriegszeit Stellvertreter von Ferdinand Sauerbruch als Stadtrat für Gesundheitswesen in Gesamt-Berlin. Von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland und vom Berliner Magistrat beauftragt, die sanitäre Versorgung sicherzustellen und die Hygienevorschriften zu überwachen. Er trieb den Wiederaufbau des kriegszerstörten Krankenhauses Moabit voran, dessen Chirurgische Abteilung er bis zum Dezember 1958 leitete. Zugleich nahm er seine Vorlesungen an der neu gegründeten Freien Universität Berlin auf.
17Fritz Krause, 1906 – ?, gab bereits vor 1933 das Nachrichtenblatt „Soziale Arbeit“ heraus, in dem es um Jugendpflege, Jugendfürsorge und Sozialpolitik ging. (Quelle: Jutta Rüdiger, Die Hitlerjugend und ihr Selbstverständnis im Spiegel ihrer Aufgabengebiete, Askania 1983 (S. 214)) Krause war seit Januar 1932 Sozialreferent der Hitlerjugend und später der Reichsjugendführung. (Quelle: Erich Blohm, Hitlerjugend, Soziale Tatgemeinschaft, Verlag für Volkstum und Zeitgeschichte 1979, S. 375)
18Kurt Axmann, Begabtenförderung nach dem Willen des Führers, in: Das Junge Deutschland, Heft 2/1941, S. 41–46, zit. nach Buddrus, Michael, Totale Erziehung für den totalen Krieg
19Offenbar ein Erinnerungs- oder Übertragungsfehler. 1932: 6 Millionen Arbeitslose; 1933: 4,8; 1934: 2,7; 1935: 2,15; 1936: 1,59; 1937: 0,91; 1938: 0,43. (Quelle: LEMO)
20Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband, 1893–1933, war eine antisemitische, völkische Angestelltengewerkschaft, die weder Juden noch Frauen aufnahm und in die Deutsche Arbeitsfront aufgelöst wurde.
21Friedrich Knoop, 1910 – ?, 1930 NSDAP, führende Funktionen im DHV Hannover und Hamburg; Stellvertreter von Axmann in der Reichsjugendführung bis August 1940, ab 1942 Chef des Zentralamts der RJF. Im Januar 1943 zusätzlich Leiter der Befehlsstelle Böhmen und Mähren der RJF in Prag. (Quelle: Buddrus, Hitlerjugend, S. 1168)
22Günther Kaufmann, 1913 – ?, NSDAP-Mitglied seit Mai 1933, seit Oktober 1940 persönlicher Referent und Leiter der Pressestelle des Reichsstatthalters Baldur von Schirach in Wien, Leiter des Gaupropagandaamtes Wien der NSDAP 1941. (Quelle: Handbuch Reichsgau Wien Band 63/64, Deutscher Verlag für Jugend und Volk) Siehe auch: Kaufmann, Günther: Auf Teufel komm raus. Unwahrheiten und Lügen über die nationalsozialistische Jugendbewegung. Eine Richtigstellung von Günther Kaufmann, Berg 1999
23Albert Müller, Hauptschriftleiter von „Das Junge Deutschland“ in seinem Beitrag „Haben wir ein Kriegsziel?“: „Jawohl, wir haben ein Kriegsziel: das zu wahren und zu hegen, was uns der Führer gab, den Lebensraum zu schaffen, auf den das fleißigste und begabteste Volk dieser Erde ein heiliges Recht besitzt. Dafür stehen wir an der Front und mühen uns in der Heimat, dafür hat die junge Generation sich selbst zur Pflichterfüllung aufgerufen.“ In: „Das Junge Deutschland“, Sozialpolitische Zeitschrift der deutschen Jugend, 1939, S. 20, zit. nach Buddrus, S. 27
24Robert Ley, 1890 – 25.10.1945 (Nürnberg, Selbstmord). Reichsleiter NSDAP und der Deutschen Arbeitsfront, DAF, mit 5,3 Mio. Mitgliedern im Juli 1933 und 25 Mio. im Dezember 1942 der größten NS-Massenorganisation. Organisation der Sozialversicherungen und des Parteiwerks Kraft durch Freude. Leys Idee waren die Parteischulen „NS-Ordensburgen“ und ab 1937 – mit Baldur von Schirach – die Adolf-Hitler-Schulen für Jungen ab 12 Jahren.
25Erna Pranz, Jahrgang 1910, NSDAP seit 1. September 1932, ab 1934 Führerin des Obergaus Berlin des BDM, ab 1935 Reichsmädelreferentin DAF, Autorin von „Berufserziehung der weiblichen Jugend“ in Soziale Praxis, 48. Jg (1939), S. 1255-1260. Mehr dazu in „Auch Du gehörst dem Führer.“ Die Geschichte des Bundes Deutscher Mädel in Quellen und Dokumenten, 2002
26Józef Klemens Piłsudski, 1867 – 1935, polnischer Militär und Politiker, kämpfte gegen die russische Herrschaft in Polen, Marschall der Zweiten Polnischen Republik, 1926 – 1935 de facto diktatorischer Herrscher.
27Hans-Georg von Mackensen, 1883 – 1947, SS-Gruppenführer, Botschafter
28Wilhelm Ohnesorge, 1872 – 1962 (München), Reichspostminister 1937–1945
29Gustav Memminger, Leiter des HJ-Kriegseinsatzes und Chef von Presse und Propaganda in der Reichsjugendführung
30Heinz Guderian, 1888 – 1954 (bei Füssen). Militärfamilie, Kriegsakademie Berlin. WK I: Marne, Verdun; im Oberkommando. Erfinder der Panzertruppe als selbstständige Truppeneinheit, Panzergeneral. WKII: Teilnahme am Westfeldzug, Polen, Operationspläne Kiew und Odessa. Kommando Panzergruppe 2, vom Posten enthoben, dann Inspekteure Panzertruppe. Gefangenschaft bis 1948, Berater für das Amt Blank beim Aufbau der Bundeswehr
31Leo Dietrich Franz Reichsfreiherr Geyr von Schweppenburg, 1885 – 1974, seit 1944 Inspekteur der Panzertruppe, beratend beim Aufbau der Bundeswehr
32Die Armee Wenck, genannt nach ihrem Oberbefehlshaber Walther Wenck, 1900–1982 (Oberösterreich), wurde am 10. April 1945 aufgestellt und sollte – schlecht bewaffnet und mit sehr jungen Soldaten – Berlin entsetzen. Nachdem Hitler im Führerbunker die Nachricht vom Scheitern der Mission erhielt, beging er Selbstmord.
33Helmuth Weidling, 1891 – 1955 (Wladimir/Russland in Kriegsgefangenschaft). General, Teilnahme am Überfall auf Polen und Krieg gegen die Sowjetunion, mehrfach ausgezeichnet. Am 22. April 1945 aufgrund eines Missverständnisses von Hitler zum Tode durch Erschießen verurteilt. Nach der Aufhebung des Urteils am 24. April 1945 zum Kampfkommandanten bei der Schlacht um Berlin ernannt.
34Hans Krebs, 1898 – 2.5.1945 (Berlin, Selbstmord im Führerbunker). Teilnahme am Überfall auf Polen, Westfeldzug, Sowjetunion, Ardennenoffensive, (letzter) Generalstabschef des Heeres (folgt Guderian)
35Ernst Schlünder, 1898 – ?, HJ-Obergebietsführer, seit 1942 kommissarischer Kommandeur der Adolf-Hitler-Schulen, Inspekteur des RJF (Quelle: Rainer Hülsheger, Die Adolf-Hitler-Schulen 1937–1945, S.23). Nach 1945: Vorstandsmitglied des „Witikobundes“; Oberregierungsrat und Persönlicher Referent des Hessischen Staatsministers Franke (Quelle Axis History Forum, abgerufen am 27.10.2019)
36Willy Johannmeyer, 1915 – 1970, Major, Ritterkreuzträger, ab April 1945 der letzte Heeresadjutant von Hitler, sollte das politische Testament Hitlers von der Pfaueninsel nach Kopenhagen bringen, was aber scheiterte.
37Gerhard Boldt, 1918 – 1981 (Lübeck), Rittmeister, telefonierte nach dem 26. April 1945 Dienststellen in Berlin an, als alle Verbindungen zur kämpfenden Einheit abgebrochen waren, um zu fragen, ob „der Russe schon da“ sei.
38Kurland-Armee: Großverband des Heeres, im Januar 1945 in Kurland/Lettland neu aufgestellt
39Division Frundsberg: 10. SS-Panzerdivision, stand im April 1945 bei Spremberg, 143 Kilometer südöstlich des Führerbunkers
40Artur Axmann, Das kann doch nicht das Ende sein – Hitlers letzter Reichsjugendführer erinnert sich, 1995 S. Bublies Verlag, Koblenz. Diese Lebenserinnerungen von Artur Axmann erschienen nach dem Interview mit Karl Höffkes.
41Siehe Interview auf S. 491
42Wilhelm Mohnke, 1911 – 2011 (Damp bei Eckernförde), Generalmajor der Waffen-SS, in der Nacht vom 22. zum 23. April 1945 von Hitler zum Befehlshaber der „Zitadelle“ ernannt, Verteidiger des eingekesselten Regierungsviertels